Länder ohne Geschwindigkeitsbegrenzung
In Deutschland wird seit Langem über eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen diskutiert. Seit Jahren stehen sich zwei Gruppen unversöhnlich gegenüber und behaupten, ihre Ansicht sei die einzig wahre. Umweltexperten und -verbände verlangen ebenso beharrlich die Einführung eines Tempolimits, wie die Autolobby das ablehnt. Bisher siegen die Autofreunde mit schöner Regelmäßigkeit.
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In Deutschland kein Tempolimit auf Autobahnen
Deutschland gehört zu den wenigen Ländern auf der Welt, in der jeder rasen darf, was der Turbo hergibt. Eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung gibt es nicht, allerdings existieren auf etwa 40% der Autobahnen spezielle Einschränkungen, zeitweise oder ganz. Dabei verstehen viele, die zu keinem der Lager gehören, die Aufregung nicht. Ein Tempolimit in Höhe von 120 km/h würde jährlich etwa 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Angesichts von 85 Millionen Tonnen, die der Autoverkehr jährlich verursacht, ist das nicht gerade eine gigantische Zahl. Die Zahl der Verkehrstoten würde durch ein Tempolimit wohl ebenfalls nicht revolutionär sinken. Schon jetzt kommt es zu den meisten Unfällen mit Todesfolge auf den Landstraßen, die unter Geschwindigkeitsbegrenzung stehen. Wozu also der Aufstand?
Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Dazu gehört die Automobilindustrie mit 720.000 Arbeitsplätzen genauso wie der PS-Fanclub ADAC. Die Automobilisten erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 273 Milliarden Euro, den überwiegenden Teil davon im Ausland. Deutsche Autos verkaufen sich überall auf der Welt hervorragend, ganz besonders in der Oberklasse. Der Marktanteil deutscher Premiumfahrzeuge beträgt weltweit 80%. Der VDA, einflussreicher Verband an der Spitze der deutschen Automobilindustrie hat berechnet, dass rund die Hälfte aller Automobil-Arbeitsplätze von dieser Premium-Kollektion abhängt – teure, schwere und schnelle Autos, die auch bei hohen Geschwindigkeiten bequem und sicher sind.
Um bei einem Pkw den Kraftstoff zu senken, ihn leiser oder sicherer zu machen, sind etliche technische Innovationen notwendig. Dies umso mehr, wenn sie gleichzeitig auch noch schnell sein oder bleiben sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Deutschen eher ein Volk der Autofahrer sind. Während sich die Jüngeren in vielen anderen Ländern in Bezug auf Statussymbole und Selbstbewusstsein auf Smartphones, Tablets und andere Kommunikationsmittel definieren, gilt in Deutschland immer noch das Auto als Statussymbol, hier darf es gern ein wenig mehr sein.
Tempolimit in Deutschland ist auch ein Umweltthema
Deshalb muss das Thema für die Befürworter von Tempolimits immer wieder auf die Tagesordnung. Für den Sachverständigenrat für Umweltfragen gehört die Forderung nach einem Tempolimit seit vielen Jahren zum Standardprogramm umwelt- und menschenfreundlichen Verkehrs. Sie unterbreiteten schon 2005 den Vorschlag von Geschwindigkeitsbegrenzungen außerhalb geschlossener Ortschaften mit 120 Stundenkilometern, innerhalb geschlossener Ortschaften mit 30 Stundenkilometern. Sie argumentieren damit, dass die Verringerung von CO2-Emissionen umso schwerer falle, je mehr Leistung die Motoren bringen können. Dabei könnte eine Verminderung der Leistung um 50% den Ausstoß an Kohlendioxid um bis zu einem Drittel senken.
Bei einem Tempolimit geht es also nicht nur darum, dass langsameres Fahren umweltfreundlicher ist, sondern dass überhaupt langsamere, leichtere und leistungsärmere Fahrzeuge gebaut werden. Es geht also um ein Abrüstungsprogramm hin zu schicken und effizienten Leichtbauautos. Das ist zumindest die Ansicht von Jochen Flasbarth, dem Präsidenten des Bundesumweltamtes.
Ein solches Programm hätte auch Auswirkungen auf das deutsche Autobahnnetz. Aktuell kostet ein Autobahnkilometer rund 10 Millionen Euro. Breite Pisten, für langsame Verkehrsteilnehmer und Tiere meist nicht zu passieren, fräsen sich durch die Landschaft. Einer der Gründe hierfür ist die notwendige Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen. Auch hier könnte anders agiert werden. Die Einführung des scheinbar so kleinen und kostenlosen Tempolimits hätte somit gravierende Änderungen zufolge. Auch das Geschäftsmodell der exportorientierten Autoindustrie würde in Frage gestellt. Kein deutscher Politiker legt sich in Deutschland freiwillig und ohne Not mit der Autoindustrie an. Gleiches gilt auch für den ADAC mit rund 18 Millionen Mitgliedern.
Die größten Interessengruppen sind gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung in Deutschland
Es ist also am Ende vollkommen unerheblich, ob eine Geschwindigkeitsbegrenzung Sinn macht oder nicht. Entscheidend ist, dass die beiden größten Interessengruppen der Autoindustrie, der ADAC und die Industrie selbst, kein Tempolimit wollen. Folglich wird es von FDP und Union kategorisch abgelehnt. Grüne, SPD und Linkspartei fordern es immer wieder. Interessant ist hierbei allerdings, dass diese Forderungen von den Grünen und der SPD immer nur dann auftauchen, wenn beide in der Opposition sind. Als Regierungsparteien wird die Forderung nach einem Tempolimit irgendwie immer wieder vergessen.
1998 forderten die Grünen auf den Autobahnen Tempo 100, auf Landstraßen 80 und innerhalb von Ortschaften 30. Als Umweltminister verkündete Jürgen Trittin zwei Jahre später, dass er es längst aufgegeben habe, an dieser deutschen Zwangsneurose herumzudoktern. 2007 beschloss die SPD auf ihrem Parteitag, die Segel Richtung allgemeines Tempolimit zu setzen. Im zwei Jahre später folgenden Wahlkampf tauchte diese Forderung nirgendwo mehr auf.
Geschwindigkeitsbegrenzungen in anderen Ländern
Bis tatsächlich beim Tempolimit in Deutschland etwas geschieht, können wir uns mit einigen wenigen anderen Staaten in Höchstgeschwindigkeiten messen und rasen, was der Auspuff hergibt. In ganz Europa gibt es nur eine einzige weitere Region, in der kein Tempolimit besteht: die britische Insel Isle of Man. Hier wurde bisher noch überhaupt kein Tempolimit eingeführt, weder auf Autobahnen noch auf Nebenstraßen. Man erwog eine Einführung im Jahr 2004, sie wurde jedoch von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt.
In Ruanda wurde 2001 ein Tempolimit eingeführt, Australien und Tibet folgten 2007. Der US-Staat Montana war von 1995 bis 1999 ohne Tempolimit, hat es inzwischen jedoch ebenfalls wieder eingeführt.
Nach wie vor vollkommen ohne Tempolimit sind die indischen Bundesstaaten Vanuatu, Pradesh und Uttar sowie Nepal, Myanmar, Burundi, Bhutan, Afghanistan, Nordkorea, Haiti, Mauretanien, Somalia und der Libanon.
So ganz genau wird niemand auf Anhieb sagen können, inwieweit wir uns mit diesen Staaten in Bezug auf Tempolimits messen können. Man kann jedoch die Behauptung wagen, dass in allen Ländern ohne Tempolimit, ausgenommen Deutschland, allein schon wegen des Straßennetzes keine nennenswerten Höchstgeschwindigkeiten erreicht werden können – es sei denn, man fegt in einer Hoovercraft-Hüpfburg über die Straßen.